8-Städte-Turnier in Bladel 1975 mit Exweltmeister Prof. Dr. Max Euwe als Zuschauer

 

(ein Bericht von Reiner Klüting, 3. 9. 2021)

 

Der nachstehende Bericht erinnert an das zweite 8-Städte-Turnier 1975 in Bladel/Holland, ca. 25 km südwestlich von Eindhoven gelegen. Großer Dank gebührt wieder einmal Eberhard Thomas und Christoph Schulte vom Stadtarchiv Hemer, die mir bereits zahlreiche Zeitungsartikel für das Vereinsarchiv zur Verfügung stellten, unter anderem nun 2 Zeitungsartikel der Westfalenpost (vom 12. 9. und 20. 9. 1975) für diesen Beitrag.

In Bladel fand bereits in den 60er Jahren ein großes Reti-Gedenkturnier statt, an welchem Euwe und Flohr teilnahmen. Bei diesem Turnier wurde auch die „Bladelse Variante“ geboren, die mit 1. d4 f5 2. c4 g6 beginnt.

 

Der SV Hemer als Titelverteidiger trat in dem netten kleinen Städtchen (damals 8500, heute 20500 Einwohner) mit folgender Besetzung an:


  1. Hans Walter

  2. Wilfried Sirringhaus

  3. Herbert Cloosters

  4. Andreas Reinhardt

  5. Reiner Klüting

  6. Alfred Wolschendorff

  7. Peter Borchert

  8. Norbert Romanski

Der SV Hemer und die Mannschaften von Sedan aus Frankreich, Eupen und Charleroi aus Belgien, Bladel, Leende und Veldhoven aus Holland sowie Unser Fritz Wanne-Eickel wurden am Samstagmittag in der schönen Empfangshalle des Bladeler Rathauses von Bürgermeister Breeveld begrüßt.

 

Nach 3 Runden (45 Minuten Bedenkzeit pro Spieler) und 4,5 Stunden hatten sich Veldhoven, Eupen und Hemer mit je 3 Mannschaftssiegen an die Spitze gesetzt. Während der dritten Runde traf ein sehr prominenter ‚Kiebitz‘ ein: der Präsident des Weltschachbundes und Exweltmeister Prof. Dr. Max Euwe (siehe oberes Foto des Zeitungsartikels: links Max Euwe im Gespräch mit unserem damaligen Vorsitzenden Alfred Wolschendorff)

 

Euwe hatte bereits 1972 und 1974 die internationalen Kontakte des SV Hemer in Grußbotschaften gewürdigt. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, die vielseitigen Talente und Tätigkeiten dieses außergewöhnlichen Schachspielers, Funktionärs, Mathematikers und Informatikers auch nur annähernd angemessen zu

behandeln; hier verweise ich auf die zahlreiche Literatur von und zu Max Euwe sowie auf 2 einführende Wikipedia-Artikel zur ‚FIDE‘ und zu Max Euwe, aus denen ich eher anekdotisch verkürzt etwas zitiere.

Prof. Dr. Max Euwe (1901-1981), Schachweltmeister 1935-1937 mit einer ‚historischen‘ individuellen Bestelozahl von 2769, war von 1970-1978 FIDE-Präsident. Während seiner Amtszeit wurde das legendäre Weltmeistermatch zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky in Reykjavik 1972 durchgeführt. Nicht nur hier, sondern auch bei der Schacholympiade 1976 in Haifa/Israel sowie bei der Emigration von sowjetischen Schachspielern in den Westen waren seine Vermittlerfähigkeiten gefragt. So kehrte beispielsweise Viktor Kortschnoi nach dem IBM Turnier in Amsterdam 1976 nicht mehr in die Sowjetunion zurück. Die FIDE, die 2024 ihr 100jähriges Jubiläum begeht (Das Wort „feiern“ wäre aufgrund der zahlreichen Konflikte – übrigens schon in der Gründungszeit – mit den verschiedensten Mitgliederverbänden, den Konkurrenzorganisationen, z. B. ‚PCA‘ und um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft etwas übertrieben…), hat meines Erachtens in ihrer fast 100jährigen Geschichte mehr Tiefen als Höhen erlebt.

Als Mathematiker und Informatiker leitete Euwe Anfang der 60er Jahre eine Kommission, die sich der Frage widmete, inwieweit Schach programmierbar ist. Hierbei wandte er intuitionistische Methoden des berühmten niederländischen Mathematikers Luitzen Egbertus Jan Brouwer (mit dem er befreundet war) auf die Analyse des Schachspiels an.

Euwes Enkelin Esmé Lammers verwendete seine 1936 in Amsterdam gespielte Partie gegen Aljechin für ihren Debutfilm „Lang lebe die Königin“ (1995).

Zurück zum 8-Städte-Turnier: Am zweiten Turniertag unterlagen wir im vorentscheidenden Mannschaftskampf mit 3-5 gegen Veldhoven. In der Gesamtwertung siegte Veldhoven mit 13-1 Punkten vor dem SV Hemer (12-2) und Rochade Eupen (11-3).

Als bester Einzelspieler des Turniers wurde Alfred Wolschendorff (6,5-0,5 Punkte) von Bürgermeister Breeveld ausgezeichnet. Der Berichterstatter konnte bis zur letzten Runde 6 Siege verzeichnen, lehnte aber in einem Anfall von Hybris während seiner letzten Partie gegen Leende 3mal Remis ab. In der Partieendphase schlich sich Wilfried Sirringhaus hinter meinem Brett und murmelte mehrmals leise „Turnierschicksal, Turnierschicksal“, ganz in Anlehnung an einen Kommentar von Martin Beheim-Schwarzbach (s. Knaurs Schachbuch, München 1953, TB 1972, S. 245) zur Partie von Euwe – Capablanca (Karlsbad 1929). Natürlich war uns beiden dieses hervorragende Buch wohlbekannt, hatten wir doch bei verschiedensten Gelegenheiten hieraus immer mal wieder zitiert – gelegentlich in der Absicht, uns gegenseitig zu verspotten. In dieser Partie leistete sich Euwe in vorteilhafter Stellung 3 Ungenauigkeiten, konnte dann aber noch Remis halten. Beim dritten Remisangebot meines Gegners befand ich mich hingegen schon in einer nachteilhaften Position und verlor daher folgerichtig.

 

In der Geschichte der internationalen Städteturniere wird Bladel 1975 immer als Highlight in Erinnerung bleiben, das den Hemeraner Schachspielern die Begegnung mit einer Schachlegende ermöglichte.